Leserbrief zum Beitrag “Jeder siebte Schüler nimmt Nachhilfe“ im Nordkurier vom 28.01.2016

Nachhilfeunterricht muss vor allem in der öffentlichen Schule stattfinden

Privatstunden sind in. Was lange eher als Makel galt, ist zur gängigen Praxis geworden. Nachhilfeschüler werden immer jünger; sie kommen aus allen Schularten und sozialen Schichten. Nachhilfe nehmen auch immer mehr einkommensschwache Familien in Anspruch. In Mecklenburg-Vorpommern polieren fast 19 Prozent der Schüler ihr Wissen nach der Schule auf. Privat bezahlte Lerntrainer arbeiten dann außerschulisch nach, was der offizielle Schulunterricht nicht leistet. Schuld an der schleichenden Privatisierung des Unterrichts ist nach Meinung von Fachleuten die öffentliche Schule. Sie schafft es offenbar nur zum Teil, in der regulären Unterrichtszeit Lernvorgänge so zu gestalten, dass Schüler die erwarteten Leistungen erbringen. Der Bedarf an zusätzlicher Nachhilfe, sei es durch das Elternhaus oder durch kommerzielle Angebote, wird letztendlich also auch durch das staatliche Schulsystem produziert. Hier sind daher gezielte Anstrengungen zur Verbesserung der Unterrichtsqualität zu fordern.  Wenn Eltern danach befragt werden, weshalb ihr Kind Nachhilfe braucht, werden folgende Gründe genannt: Die Stoffmengen wären zu umfangreich, die Kinder bekämen nicht ausreichend Zeit zum gründlichen Arbeiten, die Lehrer redeten zu viel, auf die langsamen Schüler werde zu wenig Rücksicht genommen, die Hausaufgaben könnten nicht allein bewältigt werden. Obwohl Eltern Ursachen für unzureichenden Unterricht erkennen, engagieren sie sich kaum für eine Unterrichtsverbesserung. Viele Lehrer erklärten die ausbleibenden Lernfortschritte mit einer negativen Arbeitshaltung der Schüler: mangelnder Fleiß, geringe Anstrengungsbereitschaft, fehlende Konzentration, wenig Interesse. Mit dieser Zuweisung der Schuld an die Schüler ersparen sich diese Lehrkräfte so die kritische  Auseinandersetzung mit ihrem Fachunterricht. Aber gerade sie als Lernhelfer sollten Verantwortung für das Lernen und den Lernerfolg übernehmen und individuelle Lernhilfe gewähren, vor allem bei Lernkrisen. Immer mehr Wissenschaftler fordern deshalb eine „Qualitätskontrolle“ der Lehrer. Denn für die Leistungen der Schüler, so die Analyse von Hattie, sei “die Ebene des Unterrichts“ maßgebend, also das Engagement, die Zeitnutzung und die fachliche Leistung der Lehrkräfte. Insofern ist es wohl notwendig, ihre Unterrichtsarbeit regelmäßig zu beurteilen und die didaktische Fortbildung zu intensivieren. Ein für Schüler verstehbarer Unterricht, der ihrem Aufnahmevermögen, ihrem Lerntempo angepasst ist und ihr Interesse weckt, trägt entscheidend dazu bei, dass außerschulischer Nachhilfeunterricht überflüssig wird oder nur in bestimmten Lernsituationen notwendig ist.

 Mit freundlichen Grüßen

 Dr. Burkhardt Loclair

  

 

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